Lichterkette · 27. Januar 2022

Redebeiträge zum Nachlesen:

  • Sören Benn, Bezirksbürgermeister
    Video
  • Lars Umanski, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD)
    Nachlesen

Schweigeminute auf der Kreuzung Breite Straße/Berliner Straße:

Andacht in der Kirche

Szenische Lesung »Der Koffer« von Małgorzata Sikorska-Miszczuk

Die szenische Lesung «Der Koffer» wurde anlässlich unserer Gedenkveranstaltung nach dem gleichnamigen Stück von Małgorzata Sikorska-Miszczuk durch Rolf Kemnitzer bearbeitet und nach der Lichterkette im Anschluss an die Schweigeminute auf der Kreuzung zu Breiten Straße in der unserer Kirche aufgeführt. Das Theaterensemble die «Dramatische Republik» unter der Leitung von Rolf Kemnitzer hatte das Stück im Juni 2020 im Haus der Statistik aufgeführt und nun für die Lesung gekürzt. Worum geht es?

2006 berichtete u.a. der Deutschlandfunk von einem seltsamen Gerichtsstreit: «Pierre Lévi wurde 1943 in Avignon festgenommen, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sein Koffer war in einer Ausstellung im Pariser ‹Mémorial de la Shoah› zu sehen und wurde dort von Lévis Sohn entdeckt.» Der Sohn erhob nun Anspruch auf den Koffer. Wohin gehört der Koffer, ins Museum nach Ausschwitz, soll der Koffer im Eigentum des Überlebenden verleiben?

Die polnische Autorin Małgorzata Sikorska-Miszczuk hat diesen Stoff aufgegriffen und sich zu einer fiktiven Geschichte inspirieren lassen. In dem Stück «Der Koffer» geht es um das Spannungsfeld zwischen individuellem und kollektiven Erinnern. Nach der Premiere im Juni 2020 hieß es im Tagesspiegel dazu:

«Sikorska-Miszczuk legt einen Finger in offene Wunden, wenn sie ein Gedenken zur Disposition stellt, das ‚den Kriegsschmutz‘ konserviert und damit konsumierbar macht, aber vom ‚Nachkriegsschmutz‘ nichts wissen will, das mit seiner trügerischen Aufarbeitungsgewissheit blind macht für die ‹Ruinen der europäischen Zivilisation›, in denen wir eigentlich leben».

Durch die Bearbeitung ist eine komprimierte, sehr berührende Fassung des Stückes gelungen. Vom leicht plaudernden Ton ging der Erzählton sehr schnell in eine beklemmende Tonlage über. Gerade durch die sparsame Verwendung von bildlichen Mitteln, entstand durch den Text der Sprecher Ini Dill, Susanne Voyé, Paul Maximilian Boche und Daniel Blum und die begleitenden Sounds eine sehr intensive Atmosphäre. Sowohl das persönliche Schicksal des fiktiven Sohnes Fransoua, der mit dem Koffer ein Stück seiner Identität wiederfand, wurde greifbar, als auch die Fassungslosigkeit von uns Nachgeborenen, die dem sorgfältig aufgearbeiteten Koffer als Sinnbild unserer Erinnerungskultur hilflos gegenüberstehen. Gerade wenn die Erzähler vom Glauben an das Wunder sprechen, in diesem Fall damit meinen, in der Erinnerung, die eigene Identität zu finden, oder auch vom Zweifel am Gelingen – bekommen diese Worte ein anderes Gewicht, wenn sie in einem sakralen Raum gesprochen werden. Das war auch für uns Veranstalter eine wichtige Erfahrung.

Im Anschluss blieb ein kleiner Kreis zum Nachgespräch. Das tat gut, sich noch einmal über das Gehörte austauschen zu können. Vielen Dank an das Ensemble.

Wir danken aber auch dem Netzwerk Moskito für die Unterstützung. Die Aufführung wurde durch das Bundesprogramm «Demokratie Leben!» finanziell unterstützt. Herzlichen Dank!